Mittwoch, 27. Juni 2012

Was tun bei ADHS?



ADHS ist ein vielschichtiges Thema. Und kaum eines wird so viel und kontrovers diskutiert. Anbei möchte Ich Euch einen integralen Ansatz vorstellen, der Körper, Seele und Geist aller Beteiligten berücksichtigt. Insbesondere möchte auf die Möglichkeiten der Orthomolekularmedizin verweisen (s.u.). Im folgenden stelle ich ein paar Punkte zusammen, die mir im Zusammenhang mit ADHS besonders wichtig erscheinen.

‎1. Die Beziehung zum Kind stärken
Auch wenn man eher erwartet hätte, dass hier als erstes über ADHS als Krankheit gesprochen wird, möchte ich mich zunächst einem Kapitel widmen, welches die meisten Leser zunächst nicht als ersten Punkt erwartet hätten: Die Beziehung zwischen Eltern und ADHS-Kind, genauer gesagt: die oft bereits zerrüttete oder zumindest sehr angespannte Beziehung. Denn sehr oft leidet die Beziehung zwischen Kind und Eltern bei ADHS in ganz besonderem besonderem Maße. Nirgendwo aber wird gerade umso mehr eine gute und stabile Beziehung zwischen Kind und Eltern benötigt. Das Kind braucht um Ruhe zu finden einen sicheren Hafen. Es fehlt ihm in seiner Konstitution an Orientierung, Behaglichkeits- und Geborgenheitsgefühl. Das ist einfach so und muss nicht unsere Schuld sein.

Dies stellt dennoch uns Eltern manchmal vor wirkliche Herausforderungen. Wo das ADHS Kind doch stets unbequem, unharmonisch, ungezogen, widerspenstig zu sein scheint. Nicht selten fühlt man sich als Eltern davon persönlich angegriffen.

Henning Köhler gibt in seinem Buch:“ Von ängstlichen, traurigen und unruhigen Kindern" wertvolle Hinweise. So können wir einmal versuchen uns in die Situation des Kindes hineinversetzen, mit der Vorstellung, dass sich das Kind in seinem Körper unwohl fühlt und dem versucht mit Bewegung und Unruhe zu entkommen. Köhler schlägt den Eltern eine abendliche Meditation vor, um die Not des Kindes besser zu verstehen und es liebevoll ins Herz auf zu nehmen. "Beschäftigen Sie sich möglichst ohne Wehleidigkeit mit der besonderen Problematik Ihres Kindes. Stellen Sie dabei weniger in den Vordergrund, was Ihnen persönlich, den Nachbarn oder Lehrern Scherereien macht, als vielmehr die Frage, womit sich das Kind selbst Leid zufügt. (....) Sie können und werden dann einen Punkt erreichen, wo Sie EMPFINDEN: "Ich VERSTEHE die Not meine Kindes".

Eine solche Meditationspraxis kann betroffenen Eltern helfen sich von dem Gefühl des Persönlich-Angegriffen-Seins durch das Verhalten des ADHS-Kindes im Alltag zu lösen.

Betroffene Eltern sollten dem ADHS-Kind so oft es geht versuchen das Gefühl zu geben, dass es erwünscht und geliebt ist. Trotz aller Schwierigkeiten. In liebevollem Kontakt bleiben ist die wichtigste, zuweilen aber auch schwierigste Aufgabe der Eltern.

‎2. Konsequenz, Leitlinien, Regeln und Unterstützung
ADHS-Kinder benötigen Konsequenz in der Erziehung, Leitlinien und Regeln. So blöd wie das klingt, denn wir sind ja alle modern und wollen lieber nicht so autoritär sein und unser Familienleben sollte doch lieber auf der Basis von Kooperation, denn auf Strenge beruhen.

Aber das geht mit ADHS-Kindern nur begrenzt. Im Gegenteil. Wir überfordern das Kind und uns selbst. Das Kind zieht sich beispielsweise nicht an, weil es immer wieder auf etwas anderes kommt. Seine Aufmerksamkeitsspanne, seine Fähigkeit an einem Thema dran zu bleiben, reicht einfach nicht aus. Ggf. will es, aber es kann einfach nicht. Es hilft in so einem Fall wenig von ferne zu rufen "Zieh Dich endlich an!!!". Ein ADHS-Kind benötigt ggf. viel länger Unterstützung, als ein 'normales' Kind seines Alters. Dies gilt es zu akzeptieren. Ohne Wut auf das Kind. Es kann nicht anders. Also könnte die Unterstützung so aussehen, dass die Eltern das Anziehen begleiten, ggf. die Kleider in der richtigen Reihenfolge vorbereiten.... etc und anschließend fürs Gelingen loben. Während des Anziehvorgangs sollte dann aber auch keine Ablenkung zugelassen werden und leider klar - macht das Kind nicht mit, muss das Konsequenzen haben.

Die Konsequenzen sollten vorher bekannt sein und sie müssen immer dieselben sein, dürfen nicht wahllos sein. Damit fühlt das Kind sich nicht unfair behandelt und noch viel wichtiger: Die Erwachsenen kommen nicht in einen Zustand der Hilflosigkeit und Wut. Der Tonfall während der ganzen Aktion kann dadurch freundlich bleiben, dass alltägliche Drama bleibt aus, die Beziehung zum Kind bleibt bestehen.

‎3. Schutz des Kindes vor zu vielen Einflüssen und Überforderung
ADHS-Kinder können sich nicht so abgrenzen, wie wir das ggf. können. Alle Eindrücke brennen sich gleichsam in das Kind ein. Machen es unruhig - später abgestumpft und vielleicht sogar süchtig nach derartigen Eindrücken.

Das A und O ist daher ein geregelter Tagesablauf und Schutz vor Fernsehen, Playstation, Computerspielen, Musikvideos mit schnellen Schnitten (haben sie ja eigentlich alle), zu viele Termine am Tag etc.. Auch wenn es noch so verlockend ist. Denn vorm Computer oder Fernseher sind diese Zappelkinder ja ausnahmsweise ruhig. Die Eltern könnten einen kurzen Moment durchatmen. Doch der Schein trügt. Das Kind ist vorübergehend lediglich förmlich ‚abgeschaltet’. Die Eindrücke aber brennen sich ein, der nur aufgeschobene Bewegungsdrang kommt danach umso stärker. Oder habt Ihr schon mal erlebt, dass ein ADHS-Kind nach längerem Fernsehen friedlich und entspannt ist?

Selbst Ritalin (mal von allen Nebenwirkungen abgesehen) kann einem Kind nicht helfen, wenn man es vorm Fernseher sitzen lässt. Die Eltern sollten sich immer vor Augen halten, dass das ADHS-Kind besonders schutzbedürftig ist, da es sich nicht so abgrenzen kann, wie andere. Ebenso muss man sich vor einer Überforderung hüten. Gerichtetes Aufmerksamkeitstraining und Sport sind gut - aber nicht 4 Termine die Woche.

Dazu sehr passend ein Artikel aus der Welt:
„Zappelphilippe haben hohes Risiko für Mediensucht
Ob Fernsehen, Internet-, oder Videospiele: Junge ADHS-Patienten sind viel anfälliger für exzessiven Medienkonsum als andere Kinder.
Kinder mit der Aufmerksamkeitsstörung ADHS sind nach Einschätzung von Ärzten besonders anfällig für Mediensucht. Der exzessive Konsum von Fernsehen, Internet- und Videospielen sei bei ihnen dreimal so stark ausgeprägt wie bei anderen Kindern, sagte der Arzt Klaus Skrodzki (Forchheim) auf einem Kongress für Jugendmedizin in Weimar.

„Fernsehen mit ständigen Bild- und Tonwechseln und Computerspiele fördern die Störung.“ Teenager mit einer Aufmerksamkeitsstörung neigen demnach auch eher als ihre Altersgenossen zu Nikotin- und Alkoholsucht. „Und sie zeigen deutlichere Entzugserscheinungen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte.

Laut Skrodzki reagieren Kinder mit ADHS sehr viel impulsiver auf Reize. „Sie greifen etwa sofort zu, wenn ihnen eine Belohnung geboten wird.“ PC-, Internet- und Videospiele böten ihnen permanent Reize und sofortige Belohnung.

Das Problem beim regelmäßigen Computerspiel für ADHS-Kinder sei, dass diese sehr rasch gute Fertigkeiten im Erkennen von Nebensächlichkeiten entwickelten, sagte der Experte. Damit werde aber das Grundproblem bei der Störung verstärkt.

„Sie können ja ohnehin schon Nebensächliches nicht von Wichtigem unterscheiden. Und mit Videospielen trainieren sie ihre Aufmerksamkeit für das Falsche.“ Die Eltern sind nach Beobachtungen des Mediziners häufig Teil des Problems, wenn sie ihre Kinder zur Ablenkung vor das Fernsehgerät oder den Computer setzen.

Noch bedenklicher sei es, dass bereits bei Vorschulkindern ein eigener Fernseher im Kinderzimmer stehe. Auch Computerspiele in Kindergärten richteten bei von ADHS betroffenen Kindern eher Schaden als Nutzen an. An dem vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte veranstalteten Kongress in Weimar nehmen noch bis Sonntag rund 500 Fachleute teil.

Am Samstag wurde der mit 5000 Euro dotierte Preis für Jugendmedizin an den Aachener Verein „Kinderseele“ verliehen. Der Verein kümmert sich um psychisch kranke Kinder und deren Eltern. Schwerpunkt der Tagung sind die gesundheitlichen Auswirkungen von Fernseh- und Computer-Dauerkonsum bei Kindern und Jugendlichen.“

Artikel erschienen am 18.03.2011
dpa/sts

‎4. ADHS-Kinder sind Power-Kinder
ADHS-Kinder sind Power-Kinder. Also lasst sie powern. Sucht nach einer Sportart, in der sich das Kind ordentlich austoben kann. Der Rekordschwimmer Phlebs leidet an ADHS und bekam dies mit Schwimmen in den Griff.
Können Sich ADHS-Kinder nicht auspowern, richtet sich die Power in Unruhe nach innen und in Aggression nach außen (Bei Mädchen im übrigen – was kaum einer weiß - entstehen im späteren Verlauf der Erkrankung eher Depressionen, als nach außen gerichtete Aggression).
Anbei einer der vielen Artikel über Phleps, den Schwimmer:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2399325_0_6647_-nervenkrankheit-adhs-mit-der-stoerung-leben-lernen.html

‎5. Aufmerksamkeitstraining
Aufmerksamkeit kann erlernt werden. Das kann das Kind verhaltenstherapeutisch z.B. in einer Ergotherapie lernen. Wer die Kraft aufbringt, kann das als Elternteil selber tun. Z.B. mit einem regelmäßigen Mühlespiel - sofern es dem Kind Spaß macht. Oder mit Basteln etc..Manchmal kann es aber gut tun, wenn ein außenstehender und unvorbelasteter professioneller Therapeut das Aufmerksamkeitstraining (mit-)übernimmt.

‎6. Verhaltenstraining / Wuttraining
ADHS-Kinder reagieren oft mit Wut auf Aktionen/ Reaktionen anderer. Und dazu kommt noch, dass ihnen durch ihr Verhalten viel Wut entgegen gebracht wird. Ein Teufelskreis aus Ablehnung, Enttäuschung und Wut entsteht.
Es kann helfen, dem Kind Anleitungen zu geben, was man statt wütend brüllen, treten, ausrasten… alternativ tun kann. Z.B. tief durchatmen und erst einmal spüren, was da innen eigentlich los ist: Bin ich gerade traurig? Kann ich das irgendwie anders zum Ausdruck bringen?

7. Ergotherapie/ Motopädie
Obwohl ADHS-Kinder einen großen Bewegungsdrang haben und diesem auch bei jeder Gelegenheit nachgehen, bestehen dennoch oft motorische und oder sensuelle Defizite. Die Kinder scheinen ihren Körper nicht recht innerlich aus zu füllen. Anthroposophisch gesprochen sind Äther- und Astralleib in ihre physischen Hülle noch nicht harmonisch ‚eingewachsen’. Die Kinder spüren nicht genau, wo ihr Körper anfängt und wo er aufhört. Ebenso hat das ADHS-Kind oft Schwierigkeiten mit Balance, Lageempfinden und sensuellen Wahrnehmungen. Kombiniert mit der Unruhe führt dies zu vielen Verletzungen des Kindes selbst, oder zu Unfällen mit anderen und ‚Bruch’ in der Wohnung. Vor allem wenn noch Wut im Spiel ist. Ein ADHS-Kind erzählte mir einmal: „Wenn in der Klasse irgendwas passiert oder daneben geht, bin immer ich das, dem das passiert. Mir passieren die Dinge immer einfach so. Ich will das gar nicht.“

Da das Glas am Abendbrottisch nahezu täglich, ggf. sogar mehrmals umfällt, ist Stunk an der Tagesordnung. Frust für die ganze Familie. An diesem Punkt kann relativ einfach Abhilfe geschaffen werden. Eine regelmäßige Ergotherapie, bzw. Motopädie kann dem Kind helfen, seine Defizite in diesem Bereich auf zu holen. Ein guter Therapeut bezieht auch immer die Eltern mit ein und gibt Anleitungen, Tipps und Tricks für den Alltag.

‎8. Das gute Vorbild
Bei allem Gesagten zählt das gute Vorbild. Schreien die Eltern das Kind oft wütend an, kann man nicht erwarten, dass es dies nicht auch tut. Das ADHS-Kind ist also auch Therapeut der Eltern. Unser Therapeut, der es uns ermöglicht uns auch im Erwachsenenalter noch weiter zu vervollkommnen und an unseren Schwächen zu wachsen. Dies erfordert allerdings unseren wirklichen Willen Schattenarbeit zu leisten. Integrale Lebenspraxis ist z.B. ein guter Weg für Schattenarbeit.

‎9. Die Stärken des Kindes sehen
So problematisch ein ADHS-Kind auch ist - es hat immer auch besondere Stärken und Talente. Die Eltern des Kindes sollten ganz bewusst nach diesen Stärken suchen, sie sich vor Augen führen und liebevoll wertschätzen. Und das Kind regelmäßig dafür loben. Man sollte immer im Hinterkopf haben, wie schwer es ein ADHS-Kind hat. Diese Kinder ecken ständig überall an. Diesem stetigen Gefühl der Unzulänglichkeit sollten die Erwachsenen entgegen wirken, indem sie das Selbstbewusstsein des Kinde regelmäßig stärken.

10. Orthomolekularmedizin
Einen ganz besonderen Stellenwert in der Therapie von ADHS-Kindern hat für mich die Orthomolekularmedizin. Hier kann man mit ganz einfachen Dingen schon große Verbesserungen bewirken. Zudem verbirgt sich nicht selten hinter der Diagnose ADHS in Wirklichkeit eine Kryptopyrrolurie (KPU), bzw. Hämopyrrollaktamurie (HPU) und das Kind ist so unruhig, weil sein Körper Vitamin B6 und Zink nicht richtig verwerten kann. Hier kann mit ganz simplen und kostengünstigen Mitteln Abhilfe geschaffen werden.

Häufig fehlt den Körper aber auch Magnesium – das Salz der Ruhe. Ebenfalls helfen kann Omega3. Auch ist eine Analyse der Aminosäuren im Blut oder Urin zu empfehlen. Nicht selten ist z.B. die Aminosäure Tryptophan erniedrigt. Aus Tryptophan bastelt sich der Körper den Neurotransmitter Serotonin. Und Serotonin macht ruhig, glücklich und ausgeglichen.

Die Orthomolekulare Therapie sollte aber nicht in Eigenregie, sondern von einem Arzt oder Heilpraktiker mit Fachrichtung Orthomolekulare Medizin durchgeführt werden, da i.d.R. höhere Dosierungen erforderlich sind, die einer stetigen Laborkontrolle bedürfen.

11. Medikamentöse Therapie
Manchen Kindern hilft neben der Orthomolekularmedizin (siehe Punkt 10) die klassische Homöopathie weiter. Wichtig ist, dass der Behandler eine ausführliche Anamnese durchführt und danach sorgfältig ein Konstitutionsmittel für die Kind aussucht. Für gewöhnlich wird dies dann in einer Hochpotenz verabreicht. Genauso wichtig wie die erste gründliche Anamnese ist die weitere Begleitung. Alle 6 – 8 Wochen sollte eine erneute Vorstellung beim Behandler erfolgen, bei der die weiteren Schritte und Medikamentationen besprochen werden.

Wenn die beschriebenen Punkte 1 – 10 von oben optimal bearbeitet werden, das Ergebnis aber dennoch nicht befriedigend ist, so halte ich einen Versuch mit den üblichen schulmedizinischen Mitteln wie Ritalin für vertretbar. Nicht befriedigend heißt hier für mich: Das Kind kann nicht Kind sein, kommt in der Schule nicht mit, die Beziehung zu den Eltern ist zerrüttet, alle sind am Ende. Klar: Ritalin und Kind vorm Fernseher versauern lassen – das geht gar nicht zusammen. Und auch klar: Ritalin hat Nebenwirkungen. Von Patient zu Patient unterschiedlich stark. Dennoch: Für manch ein Kind, bei dem sonst alles versagt, bzw. zu keinen befriedigenden Ergebnissen führt, kann Ritalin dann eine erste echte Chance zu einem einigermaßen normalen Leben sein. Schließt diese Chance, wenn sonst nix geht, bitte nicht von Anfang an kategorisch aus. Ihr dürft mit Euch selbst gerne so dogmatisch sein wie Ihr wollt. Nicht aber bei Eurem Kind. Da sind Lösungen gefragt.

Beschäftigt man sich als Eltern jedoch ausführlich mit den Punkten 1 – 10 und wenn man ADHS als einen Prozess auffasst, an dem alle zu arbeiten haben, dann ist die Verabreichung von Medikamenten weitaus weniger vonnöten, als derzeit in Deutschland und Europa praktiziert.

Nicola Hirsch, Medizinjournalistin, Heilpraktikerin Bonn im Feb. – März 2011,
www.Integrale-Heil-und-Lebenspraxis.com

Autor: Nicola Hirsch bei Google Plus,

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